Lexikon der gesamten Technik

PRINZIP DER BEWEGUNG DES MASSENMITTELPUNKTES (SCHWERPUNKTES)

Prinzip der Bewegung des Massenmittelpunktes (Schwerpunktes). Werden die Bewegungsgleichungen eines Massensystems, wie sie sich aus dem Prinzip vond'Alembertergeben, durch das ganze System für jede Koordinatenrichtung summiert, so erhält man drei Gleichungen:



wobeiSxi, Syi, Szidie auf den Massenpunktmitreffenden Verbindungskräfte bedeuten. Nun bestehen aber für die Koordinatenxi, yi, zides Massenmittelpunktes[237] die GleichungenΣ mixi= M x1, Σ miyi=M y1, Σ mizi= M z1,worinMdie Gesamtmasse des Systems bedeutet (s.Massenmittelpunkt, Bd. 6, S. 319). Nimmt man von ihnen die zweiten Differentialquotienten, so sind sie die linken Seiten der vorstehenden Gleichungen, und diese gehen über in



Dies sind aber die Bewegungsgleichungen eines Punktes, der die MasseMenthält, die Koordinatenx1, y1, z1hat und an welchem alle KräftePi, Sides Systems in ihren Richtungen angreifen. Daher enthalten diese Gleichungen den Satz:Der Massenmittelpunkt eines Punktsystems, welches KräftenPiund Bedingungen unterworfen ist, welche durch KräfteSidarstellbar sind, bewegt sich so, als ob in ihm die Gesamtmasse des Systems vereinigt wäre und an ihm alle Kräfte des Systems einschließlich der Bedingungskräfte in ihren Richtungen angriffen.Dieser Satz heißt dasPrinzip der Bewegung des Massenmittelpunktes.

Ist das System frei, d.h. nur solchen Bedingungen unterworfen, die bloß von der gegenseitigen Lage der Punkte abhängen, so fallen bei der Summation die VerbindungskräfteSi,da sie doppelt mit entgegengesetzten Vorzeichen vorkommen, fort; in gleicher Weise geschieht dies auch mit den zwischen zwei Massenpunkten wirkenden inneren Kräften in denΣ Xiu.s.w., so daß für die Bewegung des Massenmittelpunktes nur die Resultante der äußeren Kräfte in Betracht kommt. Ist diese Null, so bewegt sich der Massenmittelpunkt gleichförmig auf einer Geraden(Prinzip der Erhaltung der Bewegung des Schwerpunktes).

Vorstehender Satz kann folgende Erscheinungen erklären. 1. Der Massenmittelpunkt eines schweren seiten Körpers, den man im leeren Räume irgendwie schleudert und sich dann selbst überläßt, beschreibt eine Parabel, deren Ebene durch die Anfangsrichtung seiner Geschwindigkeit hindurchgeht. Die vollständige Bewegung des Körpers ist eine Windungsbewegung um eine wechselnde Achse; dieselbe ist äquivalent einer Translationsbewegung, welche durch die parabolische Bewegung des Massenmittelpunktes gegeben ist, und einer Rotation um eine wechselnde Achse dieses Punktes. – 2. Finden während der Bewegung eines solchen Körpers im Innern desselben Explosionen statt, so vermögen diese die Bewegung des Massenmittelpunktes nicht zu ändern, und es setzt derselbe seine Bewegung ebenso fort, als ob keine Störung der Massenverteilung stattgefunden hätte. Denn die Kräfte, welche die Explosion bewirken, sind innere Anziehungs- und Abstoßungskräfte, welche paarweise entgegengesetzt gleich sind und sich also tilgen, wenn sie an den Massenmittelpunkt verlegt werden. Eine Aenderung in der Bewegung des Massenmittelpunktes findet nur durch Hinzutreten eines Widerstandes statt, den die abgesprengten Teile beim Aufstoßen auf Hindernisse finden. – 3. Auf unser Sonnensystem wirken die Anziehungen der Fixsterne als äußere und die Anziehungen der Körper des Sonnensystems untereinander als innere Kräfte. Erstere sind wegen der großen Entfernungen sehr klein, letztere tilgen sich als paarweise entgegengesetzt gleich. Daher bewegt sich der Massenmittelpunkt des Sonnensystems gleichförmig in gerader Linie oder ist in Ruhe. – 4. Eine an Ketten aufgehängte Lokomotive befinde sich in Ruhe. Wird nun der Kessel geheizt und wirkt der Dampf auf die Kolben, so fängt die Maschine an, Pendelschwingungen zu machen, so zwar, daß, wenn der Kolben vorwärts geht, die Maschine sich rückwärts bewegt. Denn die Dampfwirkungen sind entgegengesetzt gleiche Molekularwirkungen und das System ist ursprünglich in Ruhe. Der Massenmittelpunkt bleibt daher an derselben Stelle. Geht aber der Kolben vorwärts, so würde er nach vorn verschoben; damit er an der Stelle bleibe, weicht die Maschine zurück.


Literatur: Schell, Theorie der Bewegung und der Kräfte, Leipzig 1879, 2. Aufl., Bd. 2, S. 516–519.

(† Schell) Finsterwalder.